Apokalyptisch

Da ist sie, die estnische Übersetzung meiner Heidegger-Fragmente. Ich danke Ahto Lobjakas für die gewiss schwierige Arbeit.

Hier als kurzer Aufschein das erste Fragment (auf deutsch):

Apokalyptisch

Irgendwann 1945. Der Krieg ist verloren. Das Land ist zerstört. Städte und Menschen brennen noch. Trauben von Überlebenden suchen in Trümmern nach Zukunft. Verbrecher verschwinden im Untergrund, verlassen Europa. Die Alliierten besetzen das Land. Der Traum einer deutschen Welt ist ausgeträumt. Irgendwo in einem Winkel von Südwestdeutschland schreibt Heidegger seine Niedergeschlagenheit auf unzählige Zettel und in schwarze Notizbücher. Er wusste seit langem, dass der Traum ein Albtraum war. Er schreibt:

»Keine Macht der Welt und kein Gott wird mein Denken jemals aus der Vereignung in das Seyn selber herausreißen. Niemals wird sich das Denken in seinem Wesen verleugnen.«

Das ist der Ton der letzten Tage. Persönlich und doch auf der Höhe seines Denkens. Das »Seyn selbst« also sei es, dem Heidegger gehöre, dem sein Denken »vereignet« sei, wie es in der Sprache des »Ereignisses« heißt – dieser geheimnisvollen Mitte seines Denkens. Nichts könne ihn dazu bringen, diese Zugehörigkeit zu verleugnen.

Warum diese Dramatik? Welche »Macht der Welt« und welcher »Gott« hätte ein Interesse gehabt, den Denker vom Denken, mehr noch, von seinem Denken abzuhalten? Heidegger kannte viele: die Jesuiten, die Universitätskollegen, die Journalisten, die Nazis, die Schriftsteller, die Amerikaner, die Sowjets, Goethe-Fans, das »Weltjudentum«, vielleicht sogar die Mächte des Alltags wie die mehr und mehr enttäuschte Ehefrau, der Bruder, der sich nicht so wie er auf die »nationale Revolution« eingelassen hatte. Dort stehen die Gegner. Ist der Kampf vorbei? Der Denker weicht nicht aus.

Höchstwahrscheinlich existierten die Gegner nur in Heideggers Manuskripten. Gewiss, er wusste wohl, dass sich die Freiburger Universität von ihm distanzieren würde, doch dass, wie er in einem späteren Brief (1950) an Hannah Arendt angab, der KGB nach ihm suchte, davon kann keine Rede sein. Das Drama des Denkens ist zunächst das Denken des Dramas. Aber das ist kein Argument gegen den Denker, keines gegen das Denken. Denn was aus der Philosophie existiert real in der Welt? Das »Seyn selbst« jedenfalls nicht.

Die Aufzeichnung zeigt noch etwas anderes. Heidegger ist der Denker, der sein Leben denkt, der keine Trennung duldet zwischen Namen und Denken. Es ist sein Denken. Damit erhält das Drama seinen Sinn. Dieses Denken ist keine allgemeine Wissenschaft, an dem Forscher teilnehmen, ohne mit ihrem Namen Zeugnis abzulegen. Die Heldenerzählungen aus der Geschichte der Physik sind ein Missverständnis. Die binomischen Formeln gehören nicht Alessandro Binomi. Heideggers Denken aber wird von einem Namen signiert.